Sachverständigen- & Werkstattrisiko | Fünf BGH-Grundsatzurteile schaffen Klarheit
Was ist das Werkstattrisiko?
Das Werkstattrisiko beschreibt, wer für Reparaturkosten nach einem Unfallschaden aufkommen muss. Das Werkstattrisiko wird zum Beispiel angewendet, wenn der Unfallverursacher oder dessen Versicherung einwendet, die Werkstattrechnung sei überhöht. Nach § 249 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) muss die Werkstattrechnung grundsätzlich der Schädiger zahlen.
Die Bedeutung des Werkstattrisikos aus Sicht des Geschädigten
Grundsätzlich ist der Geschädigte berechtigt, vom Unfallverursacher die Bezahlung der Reparaturkosten zu verlangen. Die Schadensbeseitigung in einer Werkstatt wird dabei im Normalfall durch Fachleute durchgeführt.
Die Versicherung des Schädigers kann daher nicht einfach behaupten, die Reparaturrechnung sei zu hoch. Der Geschädigte ist i.d.R. Laie und kann die von einer Werkstatt, von Gutachtern oder Sachverständigen angesetzten Kosten, nicht ohne Weiteres nachvollziehen. Weil ihm entsprechend Fachwissen, sowie Möglichkeiten zur Überprüfung der getätigten Arbeiten fehlen, ist davon auszugehen, dass der Geschädigte in bester Absicht handelt.
Damit werden die Rechte des Geschädigten gestärkt, weil der Schädiger die Risiken tatsächlich überhöhter Reparaturrechnungen trägt. Der Geschädigte kann jedoch, nach dem “Prinzip des Vorteilsausgleichs”, die Abtretung möglicher Regressansprüche verlangen.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in mehreren richtungsweisenden Urteilen grundlegende Änderungen und Klarstellungen bezüglich des Werkstattrisikos vorgenommen. Diese Entscheidungen haben bedeutende Auswirkungen auf die Abrechnungspraxis und auf die Haftung von Versicherern und Werkstätten. Auf diese wird im kommenden Abschnitt Bezug genommen.
Die aktuelle Rechtslage wurde durch 5 Grundsatzurteile des BGH präzisiert
Es gibt verschiedene Fälle, die beim Werkstattrisiko zu beachten sind. Dazu sind die jüngsten BGH-Urteile besonders relevant. Der „BGH-Rundumschlag” durch parallellaufende Urteile, sollte frühere umstrittene Entscheidungen zukünftig vermeiden. Natürlich haben sich sowohl Werkstätten, Anwälte, als auch Versicherer auf die veränderte Rechtslage eingestellt und ihr Vorgehen angepasst.
1. Nicht tatsächlich ausgeführte Reparaturen
Selbst gar nicht durchgeführte Reparaturarbeiten, die von der Werkstatt abgerechnet wurden, sind ersatzpflichtig. (BGH, Urteil v. 16.1.2024, VI ZR 253/22).
Der BGH hat mit diesem Urteil entschieden, dass nicht tatsächlich ausgeführte Arbeiten, die für den Geschädigten nicht offensichtlich erkennbar sind, dennoch abrechnungsfähig bleiben. Dies betrifft insbesondere eine unsachgemäße oder unwirtschaftliche Reparaturausführung der Werkstatt oder z.B. versteckte Reparaturelemente, die Laien nicht erkennen können. Dazu zählen zum Beispiel ausgetauschte Elektronik- oder Mechanik-Teile. Der Geschädigte wird aus diesem Grund durch das Werkstattrisiko geschützt und muss diese Kosten nicht selbst tragen, sondern kann vom Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherer die volle Bezahlung der Reparaturrechnung verlangen.
2. Schadensservice aus einer Hand: Die “generelle Seriosität” von Werkstattarbeiten zu erwarten ist legitim
Der BGH stellte in seinem Urteil vom 16.1.2024 auch klar, dass das Werkstattrisiko auch bei umfassenden Serviceangeboten der Werkstatt gilt, bei denen die Werkstatt neben der Reparatur auch die Begutachtung und Empfehlung oder Bereitstellung rechtlicher Beratung übernimmt. Es muss aus der Perspektive des Geschädigten bewertet werden, ob die Leistungen angemessen und erforderlich sind.
Es gibt daher keine präventive Verpflichtung zur Einholung eines Sachverständigengutachtens für den Geschädigten.
https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&nr=136315&pos=0&anz=1
3. Noch nicht bezahlte Rechnungen können Ersatzanspruch bereits vorab ermöglichen
Die Grundsätze zum Werkstattrisiko setzen nicht voraus, dass die Rechnung durch den Geschädigten bereits beglichen wurde. Bei nicht bezahlten Rechnungen kann der Geschädigte die Zahlung der Reparaturkosten direkt an die Werkstatt verlangen, um das Werkstattrisiko nicht selbst zu tragen.
Falls der Geschädigte die Zahlung eines Teilbetrags an die Werkstatt verweigert, würde er durch den Schadensersatz ungerechterweise profitieren, wenn er direkt den vollen Betrag vom Schädiger erhält.
Um dies zu vermeiden, gilt:
- Die Zahlung durch den Schädiger erfolgt nur direkt an die Werkstatt.
- Diese Zahlung kann Zug um Zug gegen Abtretung der Ansprüche des Geschädigten erfolgen, die das Werkstattrisiko betreffen.
Damit bleibt das Werkstattrisiko rechtlich ausgewogen und die Ansprüche des Geschädigten sowie des Schädigers werden geschützt.
Eine Abtretung der Ansprüche gegen die Werkstatt an den Versicherer ist erforderlich, um eine doppelte Belastung des Geschädigten zu vermeiden.
Hat der Geschädigte die Rechnung jedoch nicht bezahlt, kann er die Zahlung der Reparaturkosten vom Schädiger nur an die Werkstatt und nicht an sich selbst verlangen.
Falls der Geschädigte die Zahlung an sich selbst verlangt, muss er (durch Beweise und entsprechende Gutachten) im Schadensersatzprozess beweisen, dass die abgerechneten Reparaturen tatsächlich durchgeführt und die Kosten nicht überhöht waren. So der BGH in seinem weiteren Urteil vom 16.1.2024 mit dem Az. VI ZR 266/22.
4. Die Rechtsprechung zum Werkstattrisiko gilt nicht bei Abtretung von Ansprüchen an die Werkstatt
Der BGH entschied, dass die Grundsätze des Werkstattrisikos nicht auf Dritte übertragbar sind, weil es vor allem die Rechte des Geschädigten wahren soll. Der Schädiger hat das schützenswerte Interesse, dass der Geschädigte sein Gläubiger bleibt. Der Geschädigte bleibt der Ansprechpartner für den Vorteilsausgleich, um sicherzustellen, dass der Versicherer berechtigte Ansprüche geltend machen kann.
Werkstätten, die Ansprüche vom Geschädigten auf sich abtreten lassen, übernehmen damit die volle Beweislast, dass die berechneten Reparaturkosten erforderlich und angemessen waren. Die Werkstätten können sich nicht auf das Werkstattrisiko berufen und müssen ggf. detaillierte Nachweise für alle durchgeführten Arbeiten vorlegen, so der BGH in einer weiteren Entscheidung von 16.1.2024 zu Az. VI ZR 38/22.
5. Auch das Werkstattrisiko wird begrenzt
Die missbräuchliche Berufung auf das Werkstattrisiko wird dadurch begrenzt, dass die Beweislast für Zusammenhang zwischen Unfallschaden und dem reparierten Fahrzeugteil beim Geschädigten verbleibt. Es muss damit eine eindeutige und nachvollziehbare Kausalität geben.
Zudem darf der Geschädigte keine ungeeignete Werkstatt auswählen oder den Schaden absichtlich erhöhen.
BGH-Urteile vom 16.1.2024 (VI ZR 38/22, VI ZR 239/22, VI ZR 253/22, VI ZR 266/22 und VI ZR 51/23)
https://www.bundesgerichtshof.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2024/2024007.html
Die Reaktion der Haftpflichtversicherung ist entsprechend ausgefallen:
Versicherer versuchen leider seitdem häufig, dass für den jeweiligen Fall geltende Werkstattrisiko per Schreiben zu bestreiten, um Zahlungen kürzen zu können. Versicherer möchten zudem von Anfang an das Risiko der Reparaturen durch Werkstätten auf den Geschädigten verlagern, auch wenn das Schadensersatzrecht das nicht vorsieht. Zusätzlich fordern Versicherer von den Werkstätten detaillierte Informationen und Nachweise zu den Reparaturen.
Versicherer bieten alternative Abtretungserklärungen an, um die Anwendung des Werkstattrisikos umgehen zu können. Diese Erklärungen betreffen oft die Abtretung der Schadenersatzansprüche des Geschädigten an die Werkstatt. Dies würde die Werkstatt jedoch in eine schwierige Beweislage bringen, da sie die Ansprüche dann vollständig nachweisen müsste.
Werkstätten und Geschädigte sollten sich von diesen Versuchen nicht beeinflussen lassen und auf ihren rechtlichen Schutz bestehen.
Praxis-Tipp für Geschädigte:
Vor Beginn der Reparaturmaßnahmen sollte ein Sachverständiger oder Gutachter die Schäden begutachten und entsprechend durch ein Sachverständigengutachten dokumentieren. Dies verhindert spätere Unklarheiten und erleichtert es, im Streitfall nachweisen zu können, ob Schäden gerechtfertigter- oder ungerechtfertigterweise repariert und dem Schadensfall zugeordnet wurden.
Werkstätten können sich ebenfalls rechtlich absichern
Werkstätten stehen in der Verantwortung, Schäden zu vermeiden und Kunden umfassend abzusichern. Gleichzeitig sollten sie sich selbst vor Regressansprüchen schützen.
Haftung und Risiken der Werkstätten im Überblick
Werkstätten haften für Schäden, die sie während der Reparatur oder Wartung eines Fahrzeugs verursachen.
Dies umfasst:
- Sachschäden: z. B. Beschädigungen am Fahrzeug oder Verlust von Fahrzeugteilen.
- Personenschäden: z. B. Verletzungen durch unsachgemäße Reparaturen.
- Vermögensschäden: z. B. Einnahmeverluste des Kunden durch eine verspätete Fertigstellung.
Empfehlungen für Werkstätten
1. Sorgfältige Dokumentation und Nachweise
Werkstätten sollten alle durchgeführten Arbeiten und angefallenen Kosten umfassend dokumentieren.
Dies beinhaltet:
- Begleitung bei der Erstellung eines Sachverständigengutachtens zum Unfallschaden vor Reparaturbeginn. Auch wegen der Frage einer Wertminderung des beschädigten Fahrzeuges und der Höhe einer Nutzungsentschädigung.
- Dokumentation: Werkstätten sollten sämtliche Reparaturen und Maßnahmen umfassend dokumentieren, inklusive Fotos und detaillierter Berichte.
- Detaillierte Rechnungen: Klare Aufschlüsselung der Material- und Arbeitskosten.
- Arbeitsberichte: Schriftliche Aufzeichnungen über durchgeführte Arbeiten und verwendete Materialien. Versicherer fordern ggfs. einen Reparaturablaufplan.
Klagen aus abgetretenem Recht sind zu vermeiden:
Diese sollten nur erhoben werden, wenn die Werkstatt sicherstellen kann, dass alle Arbeiten lückenlos nachweisbar sind.
2. Transparente Kommunikation mit dem Geschädigten
Werkstätten sollten den Geschädigten frühzeitig und umfassend über den Reparaturprozess und die damit verbundenen Kosten informieren und dies dokumentieren.
Dadurch können Missverständnisse vermieden werden und der Geschädigte versteht, warum bestimmte Arbeiten notwendig sind. Wichtig ist auch, die Kunden darüber aufzuklären, welche Nachweise möglicherweise von der Versicherung verlangt werden.
3. Rückabtretung von Ansprüchen
Werkstätten sollten mit dem Geschädigten vereinbaren, dass im Falle von Kürzungen durch die Versicherung die Ansprüche wieder an den Geschädigten zurückübertragen werden. Dies ermöglicht es dem Geschädigten, selbst gegen die Versicherung vorzugehen und entlastet die Werkstatt von der Beweispflicht in solchen Fällen, weil dann wieder die Grundsätze des Werkstattrisikos gelten.
Unveränderter Forderungsinhalt durch Abtretung
Der zentrale Grundsatz des Schadensersatzrechts bleibt unangetastet: Die Abtretung verändert den Inhalt der Forderung nicht. Der subjektbezogene Schadenbegriff, der die erleichterte Durchsetzung des Anspruchs durch den Geschädigten ermöglicht, geht durch die Abtretung an die Werkstatt nicht verloren. Genauso wenig verliert er bei der Rückabtretung von der Werkstatt in die Hände des Geschädigten seine Gültigkeit.
Vorteilsausgleich bleibt zentral
Die Anwendung des subjektbezogenen Schadenbegriffs beruht auf der Möglichkeit eines Vorteilsausgleichs. Diese Möglichkeit stellt sicher, dass der Schädiger sich bei der Werkstatt schadlos halten kann, wenn er mehr erstattet, als objektiv erforderlich wäre. Dies ist ein essenzieller Bestandteil der Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 22.6.2022 – VI ZR 147/21.
Nach der Rückabtretung an den Geschädigten bleibt der Vorteilsausgleich gewährleistet:
- Der Geschädigte ist wieder Inhaber der Forderung.
- Der Schädiger kann weiterhin Ansprüche gegen die Werkstatt geltend machen, falls dies erforderlich sein sollte.
- Die Werkstatt kann diese Funktion nicht selbst übernehmen, da sie als Anspruchsgegnerin nicht gleichzeitig Rechte aus der Forderung abtreten kann. Der Geschädigte hingegen kann dies nach der Rückabtretung problemlos tun. Das Gleichgewicht bleibt somit gewahrt.
Werkstätten können das Werkstattrisiko durch klare Auftragsvereinbarungen, regelmäßige Schulungen der Mitarbeiter und eine sorgfältige Dokumentation minimieren. Rechtlich einwandfreie AGB und ein schriftlicher Nachweis über den Fahrzeugzustand zum Zeitpunkt der Auftragsbeginnes schaffen zusätzliche Sicherheit.
Kein Rechtsmissbrauch durch Rückabtretung
Die Rückabtretung der Forderung stellt keinen Rechtsmissbrauch dar. Ursprünglich dient die Abtretung an die Werkstatt vor allem zwei Zielen:
- Sicherung der Forderung: Die Werkstatt erhält durch die Abtretung die Sicherheit, dass die Reparaturkosten aus der Schadensersatzforderung gedeckt sind.
- Servicegedanke: Der Geschädigte wird entlastet, da die Werkstatt den Anspruch direkt gegenüber dem Schädiger geltend macht.
Sollten erhebliche Widerstände bei der Durchsetzung auftreten, ist die darauffolgende Rückabtretung an den Geschädigten eine logische Maßnahme. Sie stellt lediglich die ursprüngliche Situation wieder her, ohne die Rechtslage zu verändern.
Abtretung und Rückabtretung sollten korrekt dokumentiert werden, um Streitigkeiten zu vermeiden. Dabei gilt es, rechtlich einwandfreie Formulierungen zu verwenden. Juristischer Rat sollte daher vorab eingeholt werden.
Klare Abgrenzung zwischen Werkstatt- und Sachverständigenrisiko
Das Werkstattrisiko und das Sachverständigenrisiko beziehen sich auf unterschiedliche Verantwortungsbereiche im Schadensersatzrecht. Beide schützen den Geschädigten vor finanziellen Nachteilen, wenn Kosten entstehen, die er selbst nicht abschätzen oder kontrollieren konnte.
Dennoch gibt es folgende wesentliche Unterschiede:
Werkstattrisiko: Verantwortlichkeit der Werkstatt
- Das Werkstattrisiko betrifft die Reparaturkosten der ausführenden Werkstatt.
- Es schützt den Geschädigten vor überhöhten oder unsachgemäßen Reparaturen, die für ihn als Laien nicht erkennbar sind.
- Die Werkstatt trägt die Beweislast für die durchgeführten Arbeiten, wenn Ansprüche aus abgetretenem Recht geltend gemacht werden.
- Der Geschädigte ist nicht verpflichtet, die Reparaturarbeiten zu überwachen oder die Angemessenheit der Kosten vorab zu prüfen.
Sachverständigenrisiko: Verantwortlichkeit des Gutachters
- Das Sachverständigenrisiko betrifft die Kosten für das Schadensgutachten.
- Es schützt den Geschädigten, wenn der Sachverständige die Reparaturkosten fehlerhaft berechnet oder unberechtigte Positionen (z. B. nicht durchgeführte Maßnahmen) in Rechnung stellt.
- Die Verantwortung liegt beim Gutachter, eine nachvollziehbare und objektiv fundierte Schadensberechnung vorzulegen.
- Anders als bei der Werkstatt können Sachverständige keine Abtretung von Ansprüchen an Versicherer verlangen, ohne eine genaue Begründung ihrer Kosten vorzulegen.
Gemeinsame Grundsätze
- Beide Risiken basieren auf dem Prinzip, dass der Geschädigte als Laie keine Fachkenntnisse haben muss und auf die Seriosität von Werkstätten und Sachverständigen vertrauen darf.
- Versicherer können überhöhte Kosten nur dann ablehnen, wenn diese für den Geschädigten offensichtlich erkennbar waren.
Aktuelles Urteil zum Werkstattrisiko
(BGH-Entscheidung vom 12.3.2024)
Am 12.3.2024 entschied der BGH zu Az. VI ZR 280/22 über die Übertragbarkeit der Grundsätze zum Werkstattrisiko auf angeblich überhöhte Kostenansätze eines Kfz-Sachverständigen. Dieses Urteil ist wegweisend für die Abrechnung von Verkehrsunfallschäden nach Sachverständigengutachten.
Sachverhalt – PKW Schaden durch Verkehrsunfall
Ein Pkw wurde bei einem Verkehrsunfall beschädigt. Der Halter des Fahrzeugs beauftragte ein Sachverständigenbüro mit der Schadensbegutachtung und trat seine Schadensersatzansprüche an den Gutachter ab. Die Haftpflichtversicherung des Unfallgegners erstattete die Gutachterkosten, jedoch nicht eine „Corona-Pauschale“ von 20 €, die der Sachverständige in Rechnung stellte.
Diese Corona-Pauschale umfasste Kosten für Desinfektionsmittel, Reinigungstücher und Einmalhandschuhe.
Prozessverlauf am Amtsgericht
Das Amtsgericht und das Landgericht wiesen die Klage des Sachverständigen ab, da eine Corona-Pauschale nicht gesondert in Rechnung gestellt werden dürfe. Der BGH hob diese Urteile auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung zurück.
Entscheidung des Senats
Der BGH entschied, dass der Geschädigte grundsätzlich berechtigt ist, einen qualifizierten Gutachter seiner Wahl zu beauftragen. Die Grundsätze des Werkstattrisikos, welche am 16.1.2024 für angeblich überhöhte Werkstattkosten festgelegt wurden, sind auch auf Sachverständigenkosten anwendbar.
Werkstattrisiko und Sachverständigenrisiko
Die Grundsätze zum Werkstattrisiko besagen, dass der Geschädigte nicht für überhöhte Kostenansätze der Werkstatt verantwortlich ist, wenn diese für ihn nicht erkennbar waren. Diese Grundsätze gelten nach Ansicht des BGH auch für Sachverständigenkosten. Wenn der Gutachter den Schaden überhöht einschätzt oder nicht durchgeführte Maßnahmen abrechnet, sind diese Kosten dennoch ersatzfähig, solange sie für den Geschädigten nicht erkennbar waren.
Zahlung der Sachverständigenkosten
Der Geschädigte kann die Zahlung der Sachverständigenkosten an den Sachverständigen verlangen, wenn er die Rechnung noch nicht beglichen hat. Dies erfolgt Zug um Zug gegen die Abtretung etwaiger Ansprüche des Geschädigten gegen den Sachverständigen.
Besondere Fallgestaltung im Urteil
Im vorliegenden Fall musste die Klägerin (das Sachverständigenbüro aufgrund abgetretenem Recht des Geschädigten) darlegen und beweisen, dass die Corona-Schutzmaßnahmen tatsächlich durchgeführt wurden und objektiv erforderlich waren. Aufgrund der Abtretung der Ansprüche des Geschädigten kann sich das Sachverständigenbüro nicht auf die Grundsätze des Werkstatt- bzw. Sachverständigenrisikos berufen. Der BGH betonte aber, dass einem Sachverständigen als Unternehmer Entscheidungsspielräume hinsichtlich seines Hygienekonzepts während der Pandemie zustehen.
Besondere Fallgestaltung zusammengefasst
Das Urteil des BGH stellt klar, dass die Grundsätze zum Werkstattrisiko auch auf Sachverständigenkosten anwendbar sind. Dies schützt den Geschädigten vor überhöhten Kostenansätzen und betont die Notwendigkeit einer transparenten und nachvollziehbaren Abrechnung durch Sachverständige. Insbesondere in Pandemiezeiten wird die betriebswirtschaftliche Entscheidung des Sachverständigen, zusätzliche Hygienekosten separat auszuweisen, anerkannt.
Fazit aus den genannten BGH-Urteilen
1) Für Geschädigte:
- Geschädigte dürfen darauf vertrauen, dass Werkstätten und Sachverständige fachgerecht arbeiten und nur angemessene Kosten berechnen ohne diese selbst zu überprüfen.
- Selbst wenn Werkstätten überhöhte oder nicht ausgeführte Leistungen in Rechnung stellen, müssen die vollen Kosten vom Schädiger oder dessen Versicherung getragen werden, solange die Fehler für den Geschädigten nicht erkennbar waren.
- Überhöhte oder fragwürdige Positionen in einem Gutachten (z. B. eine „Corona-Pauschale“) sind ebenfalls erstattungsfähig, sofern sie für den Geschädigten nicht offensichtlich überzogen sind.
2) Für Werkstätten:
- Werkstätten, die Ansprüche von Geschädigten übernehmen, müssen alle berechneten Leistungen lückenlos nachweisen können. Dies gilt insbesondere, wenn Reparaturen nicht erkennbar sind oder als überhöht beanstandet werden könnten.
- Werkstätten sollten alle Arbeiten nachvollziehbar dokumentieren, inklusive detaillierter Arbeitsberichte und Fotos, um Kürzungen durch Versicherer vorzubeugen.
- Rückabtretung: Um die Beweispflicht zu umgehen, können Werkstätten Ansprüche an den Geschädigten zurückübertragen, damit dieser sie selbst gegen die Versicherung geltend machen kann.
Die Entscheidungen des BGH stärken die Rechte der Geschädigten erheblich und bieten klare Leitlinien für den Umgang mit Reparaturkosten und Werkstattrisiken. Eine sorgfältige Dokumentation ist mitentscheidend, um Ansprüche erfolgreich durchzusetzen und rechtliche Risiken zu minimieren. Geschädigte können nun nach der Klarstellung des BGH sicher sein, dass bei einem unverschuldeten Verkehrsunfall grundsätzlich die vollen Reparaturkosten erstattet werden. Auch wenn die KFZ-Versicherung des Unfallverursachers den Umfang oder Erforderlichkeit der Reparaturkosten bestreitet, dürfen Kosten nicht pauschal gekürzt werden.

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